Überarbeitung der Roten Liste der Säugetiere in Niedersachsen
In Niedersachsen gelten mehr als ein Drittel der heimischen Säugetiere als gefährdet oder bereits ausgestorben. Dies gilt allerdings nicht für die jagdbaren Säugetierarten: Dank der Daten der Wildtiererfassung konnten ihre Besätze und Vorkommen realistisch eingeschätzt werden, denn erstmals wurde im Rahmen der Erstellung auch die Landesjägerschaft Niedersachsen direkt beteiligt.
Erläuterung „jagdbare Art“:
Mit jagdbaren Arten sind hier im Folgenden wesentlich die Wildarten gemeint, die tatsächlich auch eine Jagd- und eine Schonzeit haben – nicht grundsätzlich alle Arten, die dem Jagdrecht unterliegen. Als Ausnahme davon findet das Mauswiesel Erwähnung, da es im Rahmen der WTE regelmäßig abgefragt wird.
Auch Wolf und Goldschakal werden im Rahmen der Roten Liste eingestuft, dabei wurden die Daten aus dem offiziellen Wolfsmonitoring zur Bewertung hinzugezogen, aber keine WTE-Daten (s.u.).
Nach 32 Jahren wurde die Rote Liste der Säugetierarten in Niedersachsen überarbeitet. Für die jagdbaren Arten wurden neben den behördlichen Jagdstrecken und den Fallwildzahlen, erstmals auch die WTE-Daten bei der Analyse und Einstufung miteinbezogen. Diese Daten, so steht es in den Erläuterungen des NLWKN, sind „aufgrund teils systematischer Erfassungen im Gegensatz zu den reinen Jagdstreckendaten hinsichtlich ihrer Aussagekraft zum Zustand der Populationen wesentlich belastbarer und liefern somit eine wichtige Grundlage bei der Einstufung der jagdbaren Arten“.
Die Bewertung für die Rote Liste folgt einem sehr klaren und strikten Schema. Kurz- und langfristige Trends sowie die gegenwärtige Verbreitung sind relevant, ebenso wie potenzielle Risikofaktoren, die in die Bewertung einbezogen werden:
Aktuelle Bestandssituation
Die aktuelle Bestandssituation bezieht sich auf einen Zeitraum von max. 25 Jahren (hier 1998-2023).
Langfristiger Bestandstrend
Eine Einschätzung des langfristigen Bestandstrends basiert auf der Betrachtung der letzten 50 bis 150 Jahre. Für diesen Zeitraum lagen nur sehr wenige, meist nur anekdotische, d.h. nicht repräsentative, Populationsangaben oder auch keine Daten vor. Die festgelegten Schwellenwerte für Zunahme oder Rückgang dienten an dieser Stelle als grobe Orientierung. Bei vier der insgesamt sechs Arten, bei denen im langfristigen Bestandstrend eine „deutliche Zunahme“ zu verzeichnen ist, handelt es sich um jagdbare Arten (Reh, Rotfuchs, Steinmarder und Wildschwein).
Kurzfristiger Bestandstrend
Eine Einschätzung des kurzfristigen Bestandstrends basiert auf der Betrachtung der letzten 10 bis max. 25 Jahre. Bei guter Datenlage soll sich gemäß der Methodenstandards auf die letzten 10 Jahre konzentriert werden.
Risikofaktoren
Nach den Methodenstandards werden zehn Risikofaktoren genannt, durch deren Einfluss eine Verschlechterung des kurzfristigen Bestandstrends einer Art in den nächsten 10 Jahren zu erwarten ist.
Für viele große Säugetiere liegen kaum oder keine Monitoringdaten vor. Aus diesem Grund sind die WTE-Daten zur Bewertung der Populationsentwicklung besonders wichtig. Auf Basis dieser Monitoringdaten konnte nachgewiesen werden, dass keine jagdbare Wildart eine Gefährdungseinstufung benötigt. Ganz im Gegenteil. Insgesamt wurden für 12 Arten Daten auf Gemeindeebene für die Bewertung zur Verfügung gestellt. Bei drei Arten erfolgte eine Verbesserung der Einstufung. Auch die Beibehaltung eines Status „ungefährdet“ muss bei jeder Überarbeitung mit entsprechendem Datenmaterial neu belegt werden.
Artenliste und Ihre Einstufung 2025 (im Vergleich zu 1993)
Hasenartige (Lagomorpha)
Feldhase: ungefährdet (1993: ungefährdet)
Wildkaninchen: Vorwarnliste (1993: nicht bewertet)
Huftiere (Ungulata)
Reh: ungefährdet (1993: ungefährdet)
Rothirsch: ungefährdet (1993: ungefährdet)
Wildschwein: ungefährdet (1993: ungefährdet)
Raubtiere (Carnivora)
Baummarder: ungefährdet (1993: potenziell gefährdet)
Dachs: ungefährdet (1993: potenziell gefährdet)
Hermelin: Daten unzureichend
Iltis: Vorwarnliste (1993: gefährdet)
Mauswiesel: Daten unzureichend
Rotfuchs: ungefährdet (1993: ungefährdet)
Steinmarder: ungefährdet (1993: ungefährdet)
Erläuterung „Daten unzureichend“:
Das Hermelin ist in Niedersachsen und Bremen häufig und weit verbreitet. Die Häufigkeit lässt sich anhand der Abfragen aus der WTE abschätzen und belegt die weite Verbreitung in Niedersachsen. Insgesamt sind die vorliegenden Daten zum Hermelin in Niedersachsen und Bremen unzureichend für eine Gefährdungseinstufung.
Wie beim Hermelin gibt es beim Mauswiesel keine Daten, um Aussagen über einen lang- oder kurzfristigen Bestandstrend treffen zu können. Die aktuelle Bestandssituation wird auf Basis der WTE-Daten als häufig eingestuft. Da im Rahmen der Rote-Liste-Methodik aber ausreichende Daten zu allen drei Kriterien (Langfristiger Bestandstrend, Kurzfristiger Bestandstrend und Aktuelle Bestandssituation) vorliegen müssen, erfolgte die Einstufung „Daten unzureichend“. Beim Hermelin eignet sich nach den Methodenstandards die Jagdstrecke nicht als Indikator für Bestandsverläufe, da u. a. keine gezielte Bejagung erfolgt. Beim Mauswiesel gilt Ähnliches: Seit dem Jahr 2012 wird es in Niedersachsen nicht mehr bejagt und zudem wird es auch nicht jährlich in der WTE abgefragt.
Erläuterung „Vorwarnliste“:
Arten, die merklich zurückgegangen sind, aber aktuell noch nicht gefährdet sind.
Das Wildkaninchen ist häufig in Niedersachsen und Bremen. Schlechte Witterungsverhältnisse und die Einbringung von Krankheiten wie Myxomatose und das RHD-Virus sowie RHDV-2 haben die Bestandszahlen langfristig stark sinken lassen. Auch im kurzfristigen Bestandstrend zeigt sich eine mäßige Abnahme der Population. Aufgrund seiner Häufigkeit ist das Wildkaninchen noch nicht konkret gefährdet, erscheint aber auf der Vorwarnliste.
Bei drei Arten, bei denen WTE-Daten berücksichtigt wurden, konnte seit der letzten Aktualisierung der Roten Liste im Jahr 1993 in ihrer Einstufung eine Verbesserung festgestellt werden: Dies sind Baummarder, Dachs und Iltis, die 1993 bei der letzten Veröffentlichung der Roten Liste alle drei noch eine Gefährdungseinstufung hatten:
Der Baummarder ist in Niedersachsen und Bremen seltener als der Steinmarder, fällt aber immer noch in die Klasse „häufig“. Während in anderen Bundesländern die Bestände aufgrund des Infrastrukturausbaus und der damit einhergehenden Zerschneidung der Wälder zurückgehen, haben die Bestände in Niedersachsen lang- und kurzfristig zugenommen, allerdings nicht so stark wie beim Steinmarder. Der Baummarder ist in
Niedersachsen und Bremen in der aktuellen Roten Liste als „ungefährdet“ eingestuft – in der letztmaligen aus dem Jahr 1993 war die Einstufung noch "potenziell gefährdet".
Der Dachs ist in Niedersachsen und Bremen sehr häufig und weit verbreitet. Langfristig und kurzfristig haben die Bestände deutlich zugenommen und der Dachs hat sich auch im Norden und Westen Niedersachsens ausgebreitet. Er ist in Niedersachsen und Bremen in der aktuellen Roten Liste als „ungefährdet“ eingestuft – in der letztmaligen aus dem Jahr 1993 war die Einstufung noch "potenziell gefährdet".
Der Iltis ist in Niedersachsen und Bremen ähnlich häufig wie der Baummarder. In den letzten zehn Jahren gaben in Niedersachsen im Mittel 67 % der an der WTE teilnehmenden Reviere ein Vorkommen an, im Vergleich waren es beim Baummarder mit 65 % etwas weniger. Aufgrund seiner Häufigkeit ist der Iltis noch nicht gefährdet, erscheint aber auf der Vorwarnliste. In der zurückliegenden Bewertungsperiode wurde er noch als "gefährdet" eingestuft.
Die Überarbeitung der Roten Liste in diesem Jahr hat damit deutlich gezeigt, wie wichtig die Wildtiererfassung Niedersachsen (WTE) und die aus ihr gewonnenen Erkenntnisse und Ergebnisse sind. Würden ausschließlich die Daten der behördlichen Jagdstreckendaten genutzt, die bei einigen Wildarten aus verschiedenen Gründen rückläufig sind, wäre die Einstufung dieser Arten mitunter anders erfolgt. Durch die Daten aus der Wildtiererfassung, die insbesondere wichtige Erkenntnisse zum kurzfristigen Bestandstrend (vergangenen 10 bis max. 25 Jahre) und zur aktuellen Bestandssituation liefern, ist die Aussagekraft zum Zustand der Populationen wesentlich belastbarer und sie bilden eine wichtige Grundlage bei der Einstufung dieser Arten.
Ein ganz besonderer Dank gilt daher allen, die sich in den zurückliegenden mehr als 30 Jahren an der Wildtiererfassung beteiligt und somit jährlich für die entsprechend hohe Qualität der Daten eingesetzt haben. Ohne ihr Engagement und die daraus hervorgegangenen Monitoringdaten wäre es nicht möglich gewesen, die Verbreitung und Häufigkeit für Arten wie die Marderartigen oder auch den Feldhasen in der aktualisierten Roten Liste darzustellen und so für eine valide Bewertung zu sorgen.
Alle Neozoen wurden in der Roten Liste nicht bewertet. Neozoen sind gebietsfremde Arten, die durch menschlichen Einfluss in Lebensräume gelangt sind. Im Rahmen dieser naturschutzfachlichen Definition fällt hierunter neben dem Sikawild auch das Dam- und Muffelwild.
Neozoenarten:
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Damhirsch
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Mufflon
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Sikahirsch
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Nutria
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Marderhund
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Mink
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Waschbär
Wolf und Goldschakal:
Für den Wolf stammen die Daten zur Einschätzung aus dem Wolfsmonitoring der Landesjägerschaft Niedersachsen. In der aktuellen Roten Liste erhält er den Status "ungefährdet“, in der letztmaligen aus dem Jahr 1993, war die Einstufung "Ausgestorben oder verschollen". Der Goldschakal, dessen Nachweise ebenfalls über das Wolfsmonitoring erfasst werden, gilt als "unbeständige Art". Im September 2022 wurde im Landkreis Uelzen die erste Reproduktion des Goldschakals in Niedersachsen nachgewiesen. Dieser erste Reproduktionsnachweis blieb bisher der einzige in Niedersachsen. Aus diesem Grund sind die Etablierungskriterien laut Rote-Liste-Methodik noch nicht erfüllt. Auch hier zeigt sich, wie wichtig die Teilnahme am Monitoring ist.
Laut der aktualisierten Roten Liste des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) gelten 35 Prozent von 74 bewerteten heimischen Säugetierarten als bestandsgefährdet oder bereits ausgestorben. Insbesondere betroffen sind beispielsweise Fledermäuse: Mehr als die Hälfte der in Niedersachsen vorkommenden Fledermausarten gilt als gefährdet. Arten wie der Feldhamster und der Gartenschläfer nehmen stark ab und kämpfen ums Überleben. Der Igel, der früher weit verbreitet war, ist inzwischen durch Gefahren wie Rasenmähroboter und Straßenverkehr bedroht und befindet sich nun auf der Vorwarnliste.
Die Rote Liste soll zukünftig alle 5 Jahre überarbeitet werden.